5 Leben mit der Kirche - Die Anna-Kapelle
Westlich des Ortskerns liegt die Annakapelle, im Volksmund auch „Heiligenhäuschen“ genannt. Wie die Grundsteine zeigen, wurde die Kapelle bereits 1588 erbaut, hatte aber eine sehr wechselhafte Geschichte. Dass sie ein beliebter Ort des Gebetes und der Verehrung der Mutter Anna war, zeigen die oftmaligen Renovierungen und Erneuerungen. Wegen des fortschreitenden Verfalls wurde sie 1880, fünf Jahre vor der Geburt Joseph Kentenichs, abgetragen und neu errichtet. Die im Giebel befindliche Jahreszahl erinnert an diesen Wiederaufbau. Nach einer starken Zerstörung im Kriegsjahr 1943 wurde sie bereits 1944 wiederhergestellt.
Auch heute noch ist die Annakapelle ein Ort der Stille und Besinnung. Rund um die Kapelle wird in jedem Jahr eine Festwoche, die „Annaoktav“, durchgeführt. So ist sie bis heute fester Bestandteil des Gemeindelebens. Nach alten Erzählungen wird Anna, die vielerorts auch als Schutzpatronin der Eheleute, der Schwangeren, der Ammen und Hausfrauen verehrt wird, von den Frauen des Ortes um Hilfe bei der Empfängnis ihrer Kinder gebeten.
Volksfrömmigkeit
Heute finden sich Wallfahrts- und Liederhefte in der Kapelle, in denen Dichtungen, Gebete und Lieder zur hl. Anna stehen, die der Tradition eines apokryphen Evangeliums gemäß die Mutter Mariens war. In einem Bittgebet für Frauen und Mütter wird darum gebeten, dass Gott ihren Glauben auf die Fürbitte der hl. Anna stärke und sie zu guten Gattinnen und guten Mütter ihrer Kinder machen möge.
Eine eigene St-Anna-Litanei ruft die Mutter Mariens an in den Anliegen der Ehen, Familien sowie den Aufgaben und den Haltungen des Glaubens im Alltag:
Heilige Anna, - bitte bei Gott für uns.
Du Mutter der Jungfrau Maria,- bitte bei Gott für uns.
Du Mutter der Gottesgebärerin,- bitte bei Gott für uns.
Du heilige Mutter,- bitte bei Gott für uns.
Du Vorbild der Ehefrauen,- bitte bei Gott für uns.
Du Gemahlin des heiligen Joachim,- bitte bei Gott für uns.
Du Hilfe der Ehegatten,- bitte bei Gott für uns.
Du Beschützerin der Familie,- bitte bei Gott für uns.
Sankt Anna, stark im Glauben,- bitte bei Gott für uns.
Sankt Anna, getreu im Hoffen,- bitte bei Gott für uns.
Sankt Anna, groß im Lieben,- bitte bei Gott für uns.
Du Beispiel der Güte,- bitte bei Gott für uns.
Du Beispiel des Duldens,- bitte bei Gott für uns.
Du Beispiel der Demut,- bitte bei Gott für uns.
Du Mutter der Jugend,- bitte bei Gott für uns.
Du Mutter der Alten,- bitte bei Gott für uns.
Du Mutter der Armen,- bitte bei Gott für uns.
Du Mutter der Kranken,- bitte bei Gott für uns.
Du Helferin in Todesnot,- bitte bei Gott für uns.
Du Fürsprecherin für uns Sünder,- bitte bei Gott für uns.
Du Patronin unserer Großmütter,- bitte bei Gott für uns.
Der kleine Joseph war mit seiner Familie in diese Tradition der Gemeinde eingebunden. Wenn es auch keinen schriftlichen Beleg dazu gibt, können wir davon ausgehen, dass er mit seiner Mutter und den Großeltern an den Prozessionen zur Annakapelle und an Andachten und Gebetszeiten dort teilnahm. So ist er ganz natürlich in die Frömmigkeitsformen seiner Gemeinde und seiner Zeit hineingewachsen.
Bruderschaften und Schützenvereine
Zu den Formen volkstümlicher Kirchlichkeit in Gymnich gehörte auch das Engagement in Bruderschaften.
Im Jahr 1139 gründete man in dem Ort die St.-Sebastianus-Bruderschaft, die sich zunächst caritativen Aufgaben widmete. Im 14. Jahrhundert wurde daraus eine Pestbruderschaft, die besonders für die Pestkranken sorgte. Im 15. Jahrhundert wurde sie als Schützenbruderschaft erwähnt. In ihrer 870-jährigen Geschichte folgte sie dem Wahlspruch „Glaube, Sitte und Heimat“ und prägte das Dorfleben wesentlich mit. Heute sind die Mitglieder, die an Festen ihre blaue Uniform tragen, in allen Gremien, auch in der evangelischen Gemeinde, tätig.
Die St.-Kunibertus-Schützengesellschaft mit grüner Uniform wurde 1849 gegründet, als Absichten bestanden, das Schloss zu zerstören. Als Ziele setzte sich die Gesellschaft den Schutz von Schloss, Kirche und Pfarrhaus.
Der „Gymnicher Ritt“
Weit über das Dorf hinaus ist der „Gymnicher Ritt“ bekannt, der von den Bruderschaften wesentlich mitgetragen wird. Jedes Jahr am Fest Christi Himmelfahrt findet diese Prozession ganz eigener Art mit Fußpilgern und Reitern rund um Gymnich (13 km) statt.
Die Prozession hat ihren Ursprung in einem Gelöbnis des Ritters Arnold (Arnoldus de giminich) im 13. Jahrhundert. Dieser war während des 5. Kreuzzuges in einem ägyptischen Sumpfgebiet in Lebensgefahr geraten. Als er einen alljährlichen Ritt um Gymnich gelobte, so die Legende, wurde er auf wunderbare Weise gerettet. Ein Schilfhuhn erschreckte sein Pferd, so dass er mit einem großen Sprung wieder festen Boden erreichte.
Der vom damaligen Pfarrer Johann Joseph von der Burg 1885 wiederbelebte Brauch des Gymnicher Ritts war eine echte Attraktion, die auch einen kleinen Jungen wie Joseph Kentenich beeindruckte.
Volksbewegung
Im Aufbau der späteren Schönstattbewegung betonte Pater Kentenich immer wieder die Bedeutung der „Volksbewegung“. Er meinte damit, dass das, was für die Kirche wichtig ist, vom Volk mitgetragen und im Volk lebendig sein müsse.
In der Kirche soll also nicht nur die objektive Verkündigung des Wortes Gottes und der Lehre der Kirche gefördert werden, sondern auch das, was im Sinne einer Volksfrömmigkeit sich um die biblischen Texte und die Glaubensinhalte der Kirche rankt. Diese Frömmigkeit hat nämlich die Eigenschaft, dass sie oft sehr emotional ist und damit die Menschen nicht nur in ihrem Ver-stand, sondern auch in ihrem Gemüt anspricht. Damit Glaube im Leben der Menschen wirklich ankommt und anwächst, bedarf es auch dieser Emotionalität. Natürlich muss sich diese Volkfrömmigkeit immer neu an der Bibel und der Lehre der Kirche sowie den jeweiligen Zeitumständen orientieren. Doch darf sie nicht fehlen, sonst steht der Glaube in Gefahr, intellektuell und abgehoben zu werden.
Die unaufhaltsam fortschreitende Entterritorialisierung des Christentums verlangt eine stärkere Personalisierung und Familiarisierung. Das heißt: Was Persönlich-keit und Familie bisher durch Verwurzelung in katholischen Mutterboden eines Landes oder einer Gegend an Schutz und Sicherung erhal-ten hat, will und muss nun durch sorgfältige individuelle und unmittelbare Persönlichkeits- und Familienbildung und Erziehung erstrebt und erreicht werden. Pater Joseph Kentenich, 1952
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Gebet
Gott, auf den Spuren Pater Joseph Kentenichs erleben wir hier an der St. Anna-Kapelle, wie Menschen in einer religiösen Atmosphäre gemeinsam ihren Glauben leben und bezeugen. Zugleich spüren wir, dass in unserem Land diese Atmosphäre des Glaubens schwindet.
(Alle:) Wir bitten dich für unsere Kirche, dass sie mutig in neuer Gestalt die Frohe Botschaft vom Reich Gottes weitersagt.
Wir bitten dich für unsere Familien. Sieh an die Eltern, die Kindern in Liebe das Leben schenken und sie erziehen. Sieh an die Großeltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrer und Seelsorger, die sich um eine Atmosphäre der Freude, des Zusammenhaltes und des Glaubens mühen.
Gib allen den Mut, gemeinsam eine Zukunft zu gestalten, in welcher der Glaube den Menschen Sinn, Halt und Freude schenkt.
Amen